Freitag, 28. August 2009

Kiel - mein neues Zuhause, ein neuer Anfang

Am 09.09.09 werden es genau 6 Monate sein, wo ich in Kiel bin, von 09.03.09 an... Bevor ich nach Kiel kam und die Überlegungen ansprach, dort hin zu gehen, sagte man mir oft "Kiel ist eine Provinzstadt" oder "Kiel ist keine Stadt, das ist ein Dorf".

Nach nun 6 Monaten habe ich schon einige Eindrücke gesammelt und muss sagen - jaein....

Kiel ist beides. Stadt - Provinz, belebt - ruhig, es hat ecken mit Dorfcharakter wie auch ecken mit Großstadtcharakter, es hat reiche, wohlhabende, schöne viertel wie auch arme unschöne vierteln.... Plätze die so belebt und geradezu magisch sind, wie auch Plätze die leer und wie tot sind... Ich schätze - obwohl auch zugegeben, ich nur sehr wenig Vergleiche kenne - kaum eine Stadt beherbergt so viele Polaritäten wie diese hier.

Ein in Kiel geborener und immer dort gelebter Einheimischer sagte mir trocken "Kiel und Kieler Förde ist nicht schön", wogegen ich schwärmte, wie schön es ist, an der Kiellinie entlang zu gehen, die Schiffe zu sehen, das Meer und das ganze Leben und Aktivitäten am und um das Gewässer beobachten... Warum ist dieser denn dann noch hier, wenn es ihm nicht gefällt, so fragte ich mich?

Vor 5 Jahren - ende 2003 - wanderte ich aus meiner Heimatstadt in Rheinland-Pfalz aus. 28 Jahre lang lebte und wohnte ich schon immer in Frankenthal. Ich ließ vieles zurück, um eine Chance eines grundlegenden Neuanfangs zu ergreifen. Zweieinhalb Jahre lang wohnte ich in Hamburg bei meinem Lebensgefährten, der heute noch für mich der beste Freund ist, den ich je in meinem Leben hatte. Hamburg war ganz interessant, aber war Großstadt. Wirklich mich wohlgefühlt habe ich mich nicht in der Umgebung wo ich unmittelbar wohnte und lebte. Nein, ich muss das anders beschreiben ... ich lebte da - aber wirklich wohnen tat ich da nicht. Ich fühlte mich einfach nicht wie "zuhause", für mich bekamen die Begriffe "Wohnen" und "Zuhause" und "Heim" eine ganz neue Bedeutung, als ich feststellte, dass diese Begriffe in Hamburg einfach nicht zutrafen. Ich "Lebte" da. Aber mehr nicht.

Schließlich zogen wir Richtung Bremen um und wohnten quasi im krassen Gegenteil von Hamburg - genau mittendrinn im Provinz, in einer kleinen 1000-Seelen-Dorf inmitten einer Hektarweiten Area von Landwirtschaft, wo die Nordmilch herkam zwischen Hamburg und Bremen.. Es war sehr ruhig, Dorf, nochmal Dorf, und noch viel weiter - Dorf ...
Drei Jahre lang lebte ich da. Auch da konnte ich nicht sagen "hier wohne ich" oder "Hier bin ich zuhause"... Ich lebte da, nicht mehr, und nicht weniger.

Meine Kurzbesuch-Ausflüge zwischendurch nach Frankenthal machte mir im laufe der Jahre deutlich, das auch die alte Heimatstadt nicht mehr das ist, was sie mal war... ich erkenne viele Straßen schon fast nicht mehr wieder. Wo Spielkasinos, Dönerbuden und südländische Gemüse-Basare schon einen ganzen Straßenzug fast in südländischer Hand eingenommen ist, und andere Straßen, wo ich einst aufwuchs inzwischen sich zu einer anderen zurückentwickelte Welt mutierte, wo Deutsch eine unerwünschte Fremdsprache in diesen Straßen bildete, fand ich fast nichts mehr, wo ich noch sagen konnte "ja, das ist meine Heimatstadt"...
Die Heimatstadt ist tot. Sie existiert nicht mehr - für mich jedenfalls. Es ist zu einer fremde Stadt geworden, wo ich mich mit nichts davon mehr identifizieren kann. Es ist ok für mich. Als ich von dort weg zog, gab es sowiso fast nichts mehr, was mich noch dort hielt und verband.

Nun wohne ich seit 9. März in Kiel - genauer gesagt, Kronshagen. Ein direkt an Kiel angrenzenden Ortsteil, das schon zum Landkreis Rendsburg-Eckernförde gehört. Aber wenn man so durch die Straßen geht, bekommt man fast nicht mit, wo Kronshagen aufhört und wo Kiel anfängt und umgekehrt, so sehr geht der Ort fliesend über, wo irgendwo zwischendurch ein Ortsschild steht und darauf hinweist, das man Landkreis Rendsburg gerade verlassen und die Landeshauptstadt betreten hat.

Kronshagen ist augenscheinlich offenbar auch eine wohlhabende Stadt. Ich durchlief Straßen, wo ich mit offenem Mund die wohlhabenden Familienhäuser, Villen und Gärten bestaunte, soweit man einblicken konnte. Die ev. Kirche und das Gemeindehaus steht top gepflegt und modern wie ein Prestige-Objekt im Zentrum, wie auch die etwas pompös ausgefallene Stadtgemeindehaus. Der Sky-markt beweist mit seinen mit zum Teil unglaublichen Höchstpreisen von Lebensmitteln im Vergleich zu anderen Supermärkten, wie locker das Geld in den Börsen der Kronshagener wohl sitzt, wer sich da einkaufen leisten kann, und man sieht häufig sehr feine, wohlhabend aussehende und gutgekleidete Menschen. Um so interessanter ist es, das Mettenhof direkt neben Kronshagen liegt wie ein krasser Gegenteil mit ihren Blockbauten, Hochäuser, sozial untere Schichten, sehr arm, und mit Bewohnern, denen ich nicht mal Tagsüber gerne über den Weg laufen wollte und Deutsch auch schon fast Fremdsprache ist...

Kiel und seine Umgebung ist, wie ich schon feststellte, sehr polar, gegensätzlich. Wie Yin und Yang, wo man beides findet, findet man hier ebenso auch beides. Und ob Kiel nun eine schöne und interessante Stadt ist, oder nicht schön und öde, liegt wohl ganz im Auge des Betrachters, welche Seite des YinYangs man wohl selbst in sich ausgeprägt hat und in den Vordergrund rückt.

Ich selbst bin jemand, die vornehmlich die schönen Seiten Kiels wahrnimmt. Sicherlich, ich sehe auch die nicht so schönen Seiten, es gibt Straßenzüge, die einfach nur mit einem Wort ausgedrückt - hässlich und grau sind und Stadtteile, wo ich nicht mal tot begraben werden wollte.

Nichtsdestotrotz, nehme ich vornehmlich die schönen Seiten Kiels wahr, und auch wenn ich viel Opfern und vieles zurücklassen musste, um hierher zu ziehen, und auch wenn es mir sozial, beruflich und finanziell ziemlich schlecht geht, so habe ich eines nach langen Jahren umherziehens, wieder gewonnen... Das Gefühl, zuhause zu sein. Das Gefühl, nicht nur hier zu "leben", sondern auch wirklich zu wohnen..

Es spielt keine Rolle, wie ärmlich ich selbst lebe, in einer Wohngemeinschaft einer drei-Zimmer-Wohnung und in nur einem kleinen 10m² Zimmer, worin alles, was ich noch besitze in drei Umzugskisten untergebracht ist und ich auf eine Matratze auf dem Boden schlafe... Das macht mir nichts mehr aus, denn ich habe inzwischen festgestellt und gelernt, Besitz macht nicht glücklich, im Gegenteil. Als ich mit meinem Umzug nach Kiel mich von fast 85% Ballast befreite und nur wirklich das allernotwendigste mitnahm, fühlte ich mich viel freier, wie nie zuvor... Besitz ist schön und gut. Kein Besitz ist aber auch schön... ich glaube, das haben sehr viele Menschen in der modernen und westliche Welt nicht verstanden.

Ich bin sehr gerne hier in Kiel und an der Ostsee. Das Meer ist für mich meine "Heimat"... es ist, als war es schon immer meine Heimat gewesen und hatte im Lebensbeginn in der Pfalz nur eine Zwischenabstecher gemacht ins Innland und bin wieder zurück gekehrt, um fast jeden Tag mit nackten Füssen am Strand im Wasser entlang zu laufen, die Wellen zu lauschen die wie Musik in meinen Ohren klingen, hinaus an den Horizont zu blicken, und stets mir eine schöne End-verse eines selbst geschriebenen Lyriks im Geiste zu wiederholen "...und magisch ist die Linie zwischen Himmel und Ozean"...

Das ist Kiel.
Und ich liebe es, hier zu sein. Ich habe wieder ein "Zuhause"